Das englische Vokabel „residence“ bedeutet Wohnsitz, und ein „resident“ kann sowohl ein Ortsansässiger als auch ein Hotelgast sein. Im Altenglischen bedeutete „gast“ Seele, Geist, Leben und Atem, aus dem Althoch- und Mittelhochdeutschen wird „gast“ mit der heute gebräuchlichen Bedeutung Gast übersetzt. Der englische Begriff „ghost“ wird zusätzlich gespeist von dem gotischen „usgaisjan“ und dem altenglischen „gæstan“ mit der Bedeutung erschrecken. Im Kroatischen ist der Gast „gost“, im Altkirchenslawischen bedeutete „gosti“ Gast und Freund. Das englische Wort „guest“ hingegen leitet sich vom altenglischen „gæst“ mit den Bedeutungen Gast und Feind ab.
Im Griechischen bedeutete „gaster“ Bauch oder Magen, und die gastfreundliche (Gastfreundschaft = Hospitalität, englisch: „hospitality“) Gastronomie leitet sich aus dem griechischen Begriff der „gastronomía“ her, die mit Archestratos als Lehre von der Pflege des Bauches zu verstehen ist. Der im Protoindoeuropäischen lokalisierbare Stamm „ghostis“ (seltsam, fremd) geht ins indogermanische „ghosti-“ (Fremdling) über und wird im Lateinischen als „hostis“ (Fremdling, Feind) gehalten. Das englische „hostile“ bedeutet feindlich bzw. feindselig, ein „host“ ist ein Gastgeber, aber auch eine Unmenge oder eine Heerschar und sogar die in Vertretung des Leibes Christi in der katholischen Messe gegebene Hostie (Gott als symbolischer Gast und heiliger Geist im menschlichen „gaster“, also Bauch).
Der lateinische Begriff „hostia“ steht für Opfertier und Schlachtopfer, in der Lektüre des Philosophen Hans-Dieter Bahr für „die Tributzahlung gegen Gewaltverzicht“ [1]. Bahrs Untersuchung des Begriffes Gast in der Deutung des französischen Linguisten Émile Benveniste ortet eine „Identifizierung des Gastes mit dem Platzhalter“ [2]. Der Autor führt aus: „Die erste Silbe des indoeuropäischen Wortes ,ga,go,ho,chto‘ soll auf einen Stamm mit der Bedeutung ,homo‘ verweisen, wobei dieser ,Mensch‘ allerdings seinerseits wieder auf ,Erde‘ – humus – weiterverweist. Die zweite Silbe, wie sie in ,ho-spes/ho-stis‘ kenntlicher geblieben ist, verweist auf einen Kern mit der Bedeutung ,Er selbst‘ und zwar in seinem Können, etwa im Sinne dessen, der Meister seiner selbst ist; was sich noch im Umkreis von Worten wie ,potere‘ = können, ,despotes‘ = Herr, ,ipse‘ = selbst, andeutet. Gemäß der Auslegung Benvenistes wäre der Gast der Tauschende selbst und zwar in einem bestimmten Gegensatz zum Herrscher, der nur nimmt und nicht zu tauschen braucht, und zum Sklaven, der nur zu geben hat und nichts tauschen darf.“ [3]
Das Hospital, von lateinisch „hospitalis“, das heißt gastlich, gastfreundlich, ist ein (kleineres) Krankenhaus; vor nicht allzulanger Zeit wurden noch Armenhäuser oder Altersheime als „Hospitäler“ bezeichnet. Im Französischen heißt das (Ho-)Spital „hôpital“, und das Wort für Gast ist „hôte“. Das lateinische „hospes“ bedeutet Wirt ebenso wie Fremder und Gast. Auch die Herkunft von „resident“ ist klar im Lateinischen zu finden: „residere“ (= resideo 2: ich sitze) ist sitzen, sitzenbleiben oder verweilen. Andererseits heißt „residere“ (= resido 3): sich niedersetzen, niederlassen. Zum Beispiel als Gast in einem Hotel, wobei dieses Wort im 18. Jahrhundert dem Französischen entliehen wurde, in seiner Bedeutung Wirtshaus mit Gastzimmern, zurückgehend auf das lateinische „(cubiculum) hospitale“, das Gastzimmer. Ein „cubiculum“ ist ein Schlaf- aber auch Wohnzimmer, aber keine Werkstatt. Denn das wäre eine „taberna“, die auch ein Wirtshaus oder eine Taverne sein kann, wo gegessen und getrunken wird, wo man diskutiert und sich darstellt.
Diese Mischung aus Werkstatt und Wirtshaus führt zu dem aus „taberna“ und „tabernaculum“ (lat. Zelt, Hütte, mittellateinisch aber: Sakramentshäuschen) übergeführten Wort „Tabernakel“, das einen kleinen Schrein in der katholischen Kirche meint, in dem die Hostien aufbewahrt werden, und zwar in einer Monstranz, einem prächtigen Kelch, der den Gläubigen während der Messe vorgewiesen wird: „Das ist der Leib Christi.“ Das lateinische „monstrare“ bedeutet je nach Kontext zeigen, lehren, vorschreiben oder hinweisen. Ein „monstrum“ (von „monere“, warnen) ist ein Zeichen, es kann ein Wunder sein, aber auch ein Ungeheuer. Der Tabernakel ist die Residenz eines Zeichens für und damit eines Platzhalters des christlichen Gottes, der in der Performance eines sogenannten „Gottesdienstes“ vom Altar her durch den Priester einem Glaubenspublikum („host“ als Heerschar) gezeigt wird. Der Priester trinkt Meßwein, das ist das „Blut Christi“.
Die Kirche (gr. „kyrios“, Herr) wird so in einem Ritual der Einverleibung der Hostie, des symbolischen Gastes Gott, dessen Platzhalter Jesus ist, der sich zur Errettung der Menschen geopfert haben soll, sich also der Legende nach als Schlachtopfer („hostia“) zur Verfügung stellte, zur Taverne. Deren Wirt („hospes“) ist der Priester (gr. „presbyteros“, der Ältere), deren Gäste („hospites“) sind die Gläubigen. Und die Kirche ist Residenz, Werkstatt und Theater des Geistes (altenglisch „gast“), ein Bauch (oder Magen, s.o., gr. „gaster“), der die Einverleibung Gottes durch die Gäste und deren Verdauung im Glauben bewirkt. Ein symbolischer Doppelkannibalismus, monströs (warnend) und demonstrativ (anschaulich), an einem Ort der Weltauslegung, an dem Propaganda und Kunst performativ ineinander überfließen, das vormoderne Anti- zum modernen Museum (gr. „mouseîon“, das Musenheiligtum, lat. aber „museum“, Ort für gelehrte Beschäftigung), jener Werkstatt, in der neuzeitlich Propaganda und Kunst auseinandergeschnitten werden.
Zum Abschluß dieser etymoplastischen [4] Choreografie über den Begriff der Künstlerresidenz schlägt eine Geisterstunde. Im Griechischen hatte „mouseîon“ auch die Bedeutung Studierzimmer, das im Italienischen „studio“ heißt und im Englischen mit Arbeitsraum für Künstler übersetzt wird. Dort sind Künstler „residents“ oder „guests“, also „hospites“ in der „taberna“ als „museum“, die ihnen Werkstätten und Gastzimmer zur Verfügung stellt, sie sind dort „artists in residence“. Als Tauschende nach Benveniste in der Lektüre von Bahr, also weder Herrscher noch Sklaven. Der Gastkünstler ist ein Fremder (ig. „ghosti-“) als Freund (aks. „gosti“) und temporär präsentes Gespenst (e. „ghost), aber kein Fremder im Sinn von gr. „xenos“. Daher kann, wenn der Wirt („hospes“) ein Gastgeber und kein „Gastnehmer“ ist, die eigene Sprache des Gastes („ho-spes“: er selbst) nach Bahr „weder topisch noch utopisch noch autonom, sondern frei – ,kexenos‘“ [5] werden oder bleiben.
(Erstveröffentlichung [engl.] in „Correspondances“, Beilage zu Maska #105-106, 2007; Republikation [dt.] auf corpusweb.net am 1.6.2007 mit folgender Information: This text was first published in English Language [translation: David Ender] in „correspondances - Artists in Residence from Eastern and South Eastern Europe in dialogue“, A cooperation by KulturKontakt Austria and Tanzquartier Wien, Publication in collaboration with Maska, Vienna May 31 - June 2, 2007 [4735]; neu bearbeitete Veröffentlichung [dt.] auf ViS 30.11.2025)
Quellen:
• Friedrich Kluge: Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache. de Gruyter, Berlin / New York 1995 (23).
• Michael Petschnig / Franz Skutsch: Stowassers Lateinisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch („Der große Stowasser“). Tempsky / Freytag, Wien / Leipzig 1910 (3).
• Dieter Baer (et.al.), Duden. Das große Fremdwörterbuch. Mannheim / Leipzig / Wien / Zürich 2000.
• Langenscheidts Großwörterbuch Englisch Muret-Sanders: Teil 1, Englisch-Deutsch, Berlin / München / Wien / Zürich / New York 2001; Teil 2, Deutsch-Englisch, 2004.
• Maria Uroic/Antun Hurm: Deutsch-Kroatisches Wörterbuch, Skolska Knjiga, Zagreb 1994 (2).
• http://www.etymonline.com